Sonnenuntergang. Wolken kuendigen Gewitter an.
Als ehemaliger Redakteur weiß ich, dass Beiträger gekürzt werden. Da ich keine Wort- und Zeichen Vorgabe hatte, habe ich drauf los geschrieben.
Hier nun mein Beitrag, meine Anmerkungen zum Thema
„Unkontrollierter Harndrang“ bei älteren Männern, die, wenn sie z.B. in Erfurt, Hannover oder auch Stuttgart erwischt
werden, für ihre Not mit bis zu 5000 Euro bestraft werden.
https://www.bussgeldkatalog.org/wildpinkeln/
Wenn Sie noch Fragen haben, dann schreiben Sie mir bitte.
Telefonisch bin ich nicht zu erreichen, weil ich in Swasiland schreibe.
Ich freue mich darauf,
wenn ich wieder ein wenig zur Aufklärung beitragen konnte.
Mit herzlichen Grüßen
FWZ
PS: Als Anhang finden Sie zwei Fotos, Symbolbilder. Ein
Senior als Spontan-Pinkler im Vorgarten einer Stadt.
Gastbeitrag zum Thema „unkontrollierter
Harndrang“ bei Männern.
„Er riecht wie ein alter Mann“, das ist wahrlich
kein Kompliment. Anders dagegen, wenn man über ihn sagt: „Der Alte riecht nach
Geld“.
„Er riecht nach altem Mann“ ist negativ. Will
heißen: Er riecht nach Urin.
Ich möchte der Frage nachgehen: Wie kommt
das?
Einen gesunden Mann mit 65 oder 70 Jahren würde
man in unserer Gesellschaft nicht ohne weiteres als alten Mann bezeichnen.
Der Spruch vom „alten Mann“ stammt aus einer Zeit, als die meisten
Männer mit 50 oder gar 60 wirklich verbraucht und häufig krank waren. Ein heute
70-Jähriger würde sich diese Alterseinordnung verbieten. Geblieben aber ist der
Spruch. Ein 55-Jähriger, heute in der Blüte seines Lebens, auf dem Höhepunkt
seines beruflichen Erfolges, muss gelegentlich feststellen, dass ihm ein
ungewohnter Harndrang zu schaffen macht. Er kann es sich nicht erklären, warum
er beim Wasserlassen plötzlich Schwierigkeiten hat und aus der Harnröhre noch
ein paar Tropfen nachfließen. Urin tröpfelt in die Unterhose. Nachts muss er
häufiger auf die Toilette. Ein Organ, eine Drüse unterhalb der Blase macht ihm
zu schaffen. Er kann sie nicht benennen, weil er sich darüber noch keinen Kopf
gemacht hat. Erkundigt er sich bei seinen Freunden, vielleicht sogar beim Arzt,
dann hört er zum ersten Mal das Wort Prostata. Ja, wenn er mit diesen neuen Schwierigkeiten
zum Arzt gehen würde, zum Hausarzt oder vielleicht gleich zum Urologen, der
würde ihm seine Prostata erklären. Die möglichen Ursachen, was da passiert.
Doch der deutsche Mann geht nicht zum Arzt, die meisten jedenfalls suchen
keinen ärztlichen Rat. Urinverlust gibt es ihrer Wahrnehmung nur bei älteren
Frauen. Außerdem als Tabuthema mit Scham besetzt.
Freunde raten ihm, jetzt Kürbiskerne zu
essen, Granatapfelsaft zu trinken.
Und damit sind wir beim Thema: unkontrollierter
Harndrang im Alter, obwohl man doch gar nicht alt ist, sich nicht alt fühlt.
Neben dem gefühlten Alter gibt es auch noch das biologische Alter. Der Körper
altert. Die Prostata altert. So wie die Haare entweder ausfallen oder langsam
grau werden, die Augen eine Brille brauchen, beides sichtbare Prozesse. Die
Prostata verändert sich langsam, unbemerkt aber fühlbar.
Die Funktion meiner Prostata erklärte mir mein
Urologe am Beispiel einer Kastanie, von der Größe etwa. Mitten durch sie
hindurch fließt der Urin in der Harnröhre zum Penisausgang. Für die
Veränderung mit zunehmendem Alter, dem Prozess des Wachsens, passt das
Kastanienbild nicht so recht. Wir wissen, wie Kastanien wachsen, bis sie als
reife Frucht aus der Schale herausfallen und langsam trocknen, schrumpeln. Hier
muss ein neues Bild helfen. Wie wäre es mit einer kleinen Tomate, die am
Strauch wächst und größer wird. Für das steigende Volumen wäre Platz im
Unterbauch. Aber diese Prostata-Tomate dehnt sich nicht nur im Umfang aus,
sondern auch im Inneren. Hier beginnt die Schwierigkeit: Das Wachstum drückt
auf die innen liegende Harnröhre. Dieser Kanal wird zunehmend enger und lässt
nicht mehr so viel Urin durch wie gewohnt. Beim Wasserlassen bleiben größere
Harnmengen in der Blase, sodass sie schneller wieder vollläuft. Nerven aus der
Harnblasenwand melden dem Gehirn, wenn ein kritischer Füllstand erreicht ist.
Ich musste so weit ausholen, um die Funktion und
den Harndrang zu erklären. Alle Vergleiche hinken. Die Harnröhre kann
irgendwann sogar völlig blockieren. Auf die Frage, warum das so ist, gibt es
noch keine Antwort. Warum fällt beim Mann im Alter das Kopfhaar aus? Warum
sprießen gerade die Augenbrauen einiger Männer zu üppiger Größe? Selbst
auf diese banalen Sinnfragen gibt es noch keine befriedigende Antwort.
Die älteren Leser können sich an die Expo2000 in
Hannover erinnern. Aber wahrscheinlich vor allem an den damals „skandalösen“
Vorfall, als Prinz Ernst August von Hannover an einer Rückseite des türkischen
Pavillons urinierte. Vom Pinkel-Prinzen war damals die Rede. Alle (ich auch)
sagten Pfui!
Heute gibt es mehr von diesen prominenten
Wild-Pinklern, wie sie genannt werden. Und ihre spontanen Handlungen werden
wieder skandalisiert. Dennoch „outen“ sie sich anschließend und bekennen sich
zu ihrem plötzlichen, unkontrollierten Harndrang: Harry Wijnvoord,
Zachi Noy, Gérard Depardieu und andere.
Wilde Pinkler so werden sie von
Kommunalpolitikern genannt, bereiten den Ordnungsämtern große Sorgen. Gebühren
bis zu 5000 Euro werden schon festgeschrieben. Ich spreche hier vom Alltag, von
Senioren- oder Spontanpinklern, nicht von organisierten Besäufnissen, die die
Kommunen regelmäßig tolerieren und genehmigen. Die volle Blase eines
30-Jährigen nach drei Litern Bier braucht Toilettenwagen auf dem Festplatz.
Kostenlos, denn die Steuern aus dem gewerbsmäßigen Betrinken sollten einen
freien Zugang zum Pissoir ermöglichen.
Vor meiner Prostata-Operation ging es mir
genauso. Plötzlich konnte ich den Urin nicht mehr halten. Musste mich
irgendwo entleeren. Eine Hausecke, ein Busch, nur nicht in die Hose. Auf dem
Weg zum Theater. Die Situation war mir sehr unangenehm, meiner Partnerin mehr
als peinlich.
Würde mich heute einer dabei erwischen und
anzeigen, ich würde dem Amtsrichter meine Not erklären: „Ich konnte nicht mehr
einhalten. Der Harndrang kommt ganz plötzlich. Dann melden sich bereits die
ersten Tropfen. Ich muss jetzt sofort pinkeln – sonst geht alles in die Hose.“
So, oder so ähnlich, sähe meine Verteidigung aus. Und wenn der Richter über 50
Jahre alt wäre, dann würde er mich verstehen. Sonst bringe ich ein ärztliches
Gutachten, in dem bescheinigt wird, dass mir meine Prostata und Blase
erhebliche Probleme bereiten.
Das wäre ein spektakulärer Prozess für die Medien. Diese würden dann endlich
fordern, die Gemeinde möge mehr öffentliche Toiletten im Straßenraum
aufstellen. Das Modell der Altberliner Pinkelhäuschen (Zille lässt grüßen) könnte
plötzlich wieder ins Gespräch kommen? Natürlich angepasst an moderne
Hygienevorschriften.
Ich spreche hier für die Männer, die aufgrund ihres
Alters Blasenprobleme und Harndrang haben. Urologen geben Empfehlungen, wie
man(-n) sich verhalten sollte. Doch wer von den Männern geht schon bei
nächtlichem oder täglichem Harndrang zum Arzt? Deswegen wird er immer wieder
überrascht, wenn es plötzlich drängt und tröpfelt, er den Urin nicht mehr
halten kann? Die Golfspielern in den USA haben einen klugen Spruch: „Never miss
a piss!“ Heißt übertragen, man(-n) sollte immer eine öffentliche Gelegenheit
zum Pinkeln wahrnehmen, bevor man(-n) auf den Golfplatz geht. Das gilt auch für
mich, wenn ich das Haus verlasse – und nach einem längeren Ausflug ins
städtische Abenteuer, eine Toilette sehe.
Dass ich erst aus Erfahrung klug wurde, liegt in
der Natur des Mannes. In meinem Buch beschreibe ich einen Ausflug nach
Argentinien, zu den Wasserfällen von Iguazu.
Der Teufel hat seine Hand im Spiel, genau am
Schlund zur Hölle, in Argentinien, kann ich das Wasser nicht mehr halten. Der
Iguazú Wasserfall mit dem „Garganta del Diablo“ ist der spektakulärste Punkt
auf meiner Reise. Der Ausflug endete früher als geplant. ... In der anhaltenden
Drängelei auf der Plattform kann ich mich nicht konzentrieren. Und dann ist da
noch ein Drängen in der Blase.
Der verbliebene Schließmuskel hält nur schwach.
Ich muss eine Toilette finden. Zurück! Dorthin, zum Beginn des Laufstegs, wo
ich eine Toilette sah. Auf dem Weg merke ich, wie lang dieser Steg ist (später
lese ich: 1,2 km) Ich kann den Urin nicht mehr halten. Er fließt, wenn auch
nicht in Strömen, aber unaufhaltsam in die Hose. Die hell-grüne Leinenhose
verfärbt sich sichtbar dunkel, vorne wie hinten. In den Gesichtern der mir
entgegenkommenden Menschen kann ich ja nicht lesen, was sie denken. Peinlich
ist es allemal. Ich erreiche die Toilette mit Müh und Not. Den Rest in der
Blase kann ich im Urinal noch entleeren. Entspannt, entkrampft, schüchtern,
muss ich nun einen Platz an der Sonne finden.
Irgendwann musste es einmal passieren. Ich war
mir zu sicher geworden. Eine dumpfe Ahnung begleitet mich immer. Heute im
Argentinischen Urwald, unwissend, auf welche lange Tour ich mich einlasse,
hatte ich normal gefrühstückt: Obst, zwei Tassen Kaffee und ein Glas Wasser.
Sonst bin ich vorsichtig, zurückhaltend beim Trinken, wenn ich über drei
Stunden keine Toilette in der Nähe habe. Das also war die Stunde der Wahrheit.
Das tägliche Leben mit einer verkleinerten Blase und nur einem Schließmuskel
ist nicht normal.
Das Gefühl der Peinlichkeit war größer als der
eigentliche Schaden. In tropischer Sonne trocknet die Hose, während ich
schreibe. Ich drehe mich um die eigene Achse, abgeschieden vom Touristenstrom
hinter einer Mauer. Wenn ich das Auto und meinen Reiseführer am Eingang des
Nationalparks erreiche, dann wird er nichts mehr merken. In der Reisetasche
habe ich die Reserveunterhose für den nächsten Tag. Alles wird gut.
Mein Tipp: Wenn’s in unbekannte Abenteuer geht,
immer jede Toilette vorher besuchen. Bei Flügen in kleinen Maschinen und bei
Bootsfahrten ohne Toilette kenne ich den Trick. Hier am „Schlund der Hölle“
habe ich mich überlistet. Wie beneide ich die Forscher, Entdecker, Abenteurer,
die ohne Laufsteg vor mir hier waren. Die konnten sich einfach in „die Büsche
schlagen“, wenn sie den Drang verspürten. Heute hinderte mich daran ein 1200
Meter langer Zaun neben dem Laufsteg. Blicke aus hunderten von Augen, die schon
am frühen Morgen mit ihren Kameras allzeit bereit sind. Da muss ich mir doch
echt in die Hose machen.
Ich hätte es wissen müssen, denn der Urologe,
der mich operiert hatte, sagte mir noch auf dem OP-Tisch: „Jetzt, wo der
Blasenschließmuskel dicht ist, müssen Sie wieder Pipi-Machen lernen wie ein
Kind!“ Ich spreche hier von dem Extremfall einer OP nach der totalen
Entfernung der Prostata wegen eines Tumors. Doch nicht jedes Prostata-Problem
ist gleich auch der Verdacht auf Krebs. Meistens ist es die harmlosere
Variante, weil die Vorsteherdrüse wächst.
Die Fließgeschwindigkeit des Harnstrahls nimmt ab. Reste des Urins
können in der Blase bleiben. Mann hat das Gefühl, sie wird nicht mehr richtig
leer. Es gibt da viele Möglichkeiten, die unangenehmen Beschwerden zu
behandeln. Der Urologe kennt sie und benennt sie.
Offenbar weicht das Tabu langsam auf. Der Mann
akzeptiert, dass nicht nur seine Frau ein Kontinenz-Problem im Alter bekommt.
Es muss ja nicht gleich das Schlimmste sein. Die Angst vor der Inkontinenz
kommt erst, wenn der Arzt einen Karzinomverdacht untersuchen lässt. In den meisten
Fällen stellt der Urologe eine so genannte gutartige Hyperplasie der Drüse
fest. Und wenn er ein sehr guter Urologe ist, dann findet er auch eine Lösung
gegen den unangenehmen Geruch des Nachtröpfelns. Denn alte Männer gibt es nicht
mehr, und wenn, dann riechen sie heute nach Lebenslust.
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