Freitag, 13. Oktober 2017

Gedanken zur Fliegerei


Wenn ich mich mit meinem Freund auf unserer Memory Lane treffe, dann haben Flüge und Reisen einen eigenen Reiz. Fliegen war etwas Besonderes, ein Erlebnis. Zugegeben, wir waren privilegiert, später. Okay, heute hat jeder Sozialhilfeempfänger und jeder Rentner Anspruch auf Urlaub – mit dem Flieger in die Sonne. Demokratisierung nenne ich das.
Inzwischen ist die Fliegerei für mich eine Strapaze. 

Wenn ich mit 500 anderen Passagieren im A380 nach Südafrika fliege, dann wird diese Reise zur Qual. Für 600 € (Return Ticket) sitze ich auf abgespeckten harten Sitzen in der sogenannten Bretterklasse. Ja, die Sitze sind bretterhart.

Schon die Anreise ist so getaktet, dass daraus eine Hetzerei wird.  Die Sicherheitskontrollen werden immer aufwendiger, immer komplizierter. Die Männer und Frauen vom Sicherheitspersonal machen ihre Arbeit, doch irgendwie halbherzig.  Sie arbeiten die extrem langen Schlangen vor den Scannern ab. Immer wieder habe ich das ungute Gefühl, ob ich vielleicht doch meine Bart- oder Nagelschere aus Versehen noch im Handgepäck habe. Oder gibt es neue Regeln? Der Weg zum Schalter Z 69 in FRA ist lang.  Hätte ich einen digitalen Schrittzähler am Handgelenk, ich käme bestimmt auf 2 km von A nach Z durch ein viel zu großes Flughafengebäude in Frankfurt. Ist das Gepäck auch rechtzeitig für den Anschlussflug verladen?
Es ist kein Vergnügen auf funktionierenden oder nicht mehr funktionierenden Rollbändern zu laufen. Entlang der Shops und Bistros und Raucherkabinen laufe ich bis zum Check-In Schalter. Dort angekommen warten bereits die restlichen 499 Passagiere. Und kaum ist der Schalter mit zwei Lufthansa-Mitarbeitern besetzt, bilden sich die ersten beiden Schlangen: eine für die Economyklasse und eine für die privilegierte Klasse.
Männer und Frauen, mit Kindern und Rollkoffern, stehen da als hätten sie keinen festen Sitzplatz zugewiesen bekommen. Sie stehen für 30 Minuten oder länger in der Schlange. Diese löst sich auch in der Gangway, vor der Einstiegsluke der Maschine, nicht auf.  Im Flugzeug geht die Drängelei weiter, bis das Handgepäck verstaut ist. Stress pur!
Ich erinnere mich an ein gepflegtes Essen mit richtigem Besteck.  Heute ist das alles in Plastik eingeschweißt. Essen und Besteck sind so schlecht wie im Schnellimbiss vor dem Bahnhof.
Ich weiß, ich weiß, was kann ich für 600 € erwarten? Das Frühstück bei Lufthansa ist schlichtweg ungenießbar. Und bevor ich es vergesse: Schlangestehen auch vor den Toiletten im Flieger selbst.


Nach zehn Stunden Flugzeit kommen wir in Johannesburg am frühen Morgen an. Wir sind  nicht die einzigen die mit einem Großraumflieger aus Europa landen. Im Flughafengebäude drängeln die Menschen vor dem Schalter der Einwanderungsbehörde. Die Streckenführung durch die Barrieren für mehr als 1000 ankommende Passagiere erinnert mich an einen Rinderauftrieb.  Wenn die Kühe gegen Zecken und anderes Ungeziefer in ein Desinfektionsbad getaucht werden. Alles schön der Reihe nach, bis die Kuh endlich springen kann. Die Wartezeit in dem geführten Stangenlabyrinth kann jeder nutzen, um sein Smartphone einzuschalten, zu konfigurieren, seinen Abholern vor der Tür signalisieren,  dass man oder frau auf südafrikanische Boden gelandet ist. Die Wartezeit am Gepäckband für 500 Koffer und Taschen ist auch etwas länger, bis die Stücke aus der Tiefe oben im Terminal angekommen sind. Der Zöllner am Ausgang winkt die Massen durch,  um noch etwas Positives zu nennen.
Auf dem Rückweg von Johannesburg nach Frankfurt das gleiche nur in umgekehrter Reihenfolge. Nur, dass die 500 Passagiere im Warteraum auf dem Fußbodenteppich sitzen, weil nicht genügend Sitzgelegenheiten vorhanden sind.  Der gleiche Stress bis zur Landung in Frankfurt.

Das also nennen wir Fortschritt? Wenn jeder jederzeit überall hinfliegen kann. Mit den Preisen der Deutschen Bahn nicht zu vergleichen. Die Strecke von Berlin nach München (Fahrzeit ca. 7 Stunden) kostet in der ICE-Bretterklasse (bequemere Sitze) etwa 272 € hin und zurück.  Für eine Strecke von 2x600 Kilometern zahle ich pro Kilometer auf der Schiene 0,22 €.  Ist ein Vergleich des ICE-Preises mit dem LH-Preis für 2x10.000 km von Berlin nach Johannesburg (0,03 €) erlaubt?
Warum tue ich mir das an? Nun, der Preis ist verlockend. Die Zeitersparnis ebenfalls, obwohl es keine Alternative gibt, weder Bahn noch Schiff. Ich wollte es einfach ausprobieren. Wenn meine Schwester in die USA fliegt, um ihre Tochter zu besuchen, berichtet sie mir die gleichen Unannehmlichkeiten die sie in Kauf nimmt, um ihre Tochter und die Enkelkinder zu besuchen.

Ich erinnere mich an das Buch „Grenzen des Wachstums“. Ich flog damals noch über Alaska nach Tokio oder über Nairobi nach Johannesburg mit Zwischenstopp zum Auftanken. Die Atmosphäre im Flugzeug war locker und entspannt. Wir waren nicht gehetzt, obwohl die Fluglinien auch damals einen Flugplan mit echten Ab- und Ankunftszeiten hatten.  Verfolge ich die Nachrichten aus der Branche der Airlines, dann drängt sich mir der Verdacht auf, dass wir die Grenzen des Wachstums erreicht haben. Geiz war geil.

Ich werde meine Fliegerei einschränken. Das war mein letzter Billigflug.

Als Nachtrag noch ein Wort zur Gesundheit, meiner Gesundheit, der eines alten Mannes. Nicht nur die Psyche, das Wohlbefinden, kränkelt unter den Bedingungen, sondern auch die Organe leiden oder können geschädigt werden.

Nach dem Flug leide ich regelmäßig unter Schnupfen, Husten, Heiserkeit.
Nach meiner OP trage ich selbstverständlich die vom Arzt empfohlenen Stützstrümpfe.
Und, ganz wichtig, die Spritzen zur Blutverdünnung, um einer Embolie vorzubeugen, die durch das stundenlange Sitzen auf engem Raum ausgelöst werden kann. (Auch hier ist die unmittelbare Todeserfahrung aus dem Kreis meiner Liebsten ein ständiger Begleiter.)
Muss ich mir das alles antun?

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